Mein Umstieg von Twitter ins Fediverse, speziell Mastodon, ist nun schon einige Monate her. Ganz genau habe ich (wieder einmal) einen Account im März 2022 auf Mastodon angelegt. Was waren meine Gründe, was hat sich verändert und welchen Vorurteilen begegnet man?
Meine Gründe für den Wechsel
Meine Gründe für den Wechsel sind vielschichtig. Das hat schon begonnen, bevor Elon Musk bei Twitter überhaupt im Gespräch war. Facebook habe ich schon vor Jahren auf ein Minimum reduziert bzw. dann ganz eingestellt. Auch Instagram verwende ich schon lange nicht mehr. Meine Accounts existieren, aber ich habe weder die Apps installiert, noch schaue ich vorbei.
Mir fällt es schwer, Plattformen zu unterstützen, deren Eigentümer mehr als dubios sind. Und als genau das sehe ich Meta an. In dieses Schema fällt auch Twitter hinein. Wir reden hier von Unternehmen, die durch unsere Daten Werbeeinnahmen lukrieren und auschließlich dadurch existieren.
Als Datenkuh gemolken zu werden, ist die eine Sache. Die zweite Sache ist diese toxische Grundstimmung, die irgendwann eingekehrt ist und die vielfach noch befeuert wird. Es gibt keine anständige Regulierung, sondern blanken Hass. Und damit möchte ich mein Leben nicht verbringen. Konstruktivität, Respekt, Augenhöhe – ja. Diskriminierung, Hass, Verhöhnung – nein.
Mir ging es immer darum, Gleichgesinnte zu finden, sich auszutauschen und gemeinsam besser zu werden und Werte zu schaffen.
Als zusätzlichen Grund möchte ich selbst darüber bestimmen, was ich sehe und was ich lese. Ich brauche und möchte keine Algorithmen. Ich möchte meine Timeline selbst zusammenstellen. Wenn ich über den Tellerrand schauen möchte und Lust darauf habe, dann mache ich das. Wenn nicht, dann lebe ich mit dem was ich hab. Diese Algorithmen bringen lediglich einen ständigen Kampf um Aufmerksamkeit mit sich. Dabei geht es nicht um Inhalte, sondern darum, wer am meisten Gekreische liefert. Ein täglicher Kampf, der sich immer mehr zuspitzt und immer irrsinnigere Auswüchse annimmt.
Umgang mit Social Media verändert sich
Wie oben schon beschrieben, habe ich mich aus den meisten Social Media-Plattformen zurückgezogen. Auch Twitter läuft bei mir nur mehr auf kleinster Sparflamme mit sehr stark abnehmender Tendenz. Es hat einige Wochen gedauert, bis dieser Kampf um Aufmerksamkeit tatsächlich nachgelassen hat. Zu Beginn ist man auch auf Mastodon verleitet, es wie Twitter zu nutzen. In der Kommunikation mit den alteingesessenen Personen merkt man dann aber schnell, dass es anders läuft. Man fügt sich und beginnt es besser zu finden.
Mittlerweile, nach zahlreichen Monaten kann ich sagen, dass das “Heischen” nach Aufmerksamkeit fast verschwunden ist. Wie oft ein Beitrag geteilt oder geliked wurde, ist nicht wichtig. Es sind die Rückmeldungen selbst die zählen. Weil sie Inhalt haben, weil so viel Freundliches und Hilfreiches kommt. Weil man selbst anderen hilft und sieht, wie sich andere freuen. Und weil niemand gegeneinander kämpft. Das ist eine wunderbare Sache. Es ist entspannend, in die Mastodon-Timeline zu gucken und es ist spannend, manchen Gesprächen zu folgen. Zu sehen, wie konstruktiv das ablaufen kann und wie gerne andere Menschen ihr Wissen und ihre Leidenschaft teilen.
Manch einer mag nun sagen, dass es das auch auf Twitter gäbe. Ja, gibt es in kleinen, eingeschworenen Bubbles (noch), aber das hat sich alles sehr stark reduziert und wird von der Grundausrichtung der Plattform nicht unterstützt. Wenn die Plattform “Engagement” braucht, um zu überleben, dann bleibt die Qualität auf der Strecke.
Die Menschen auf Mastodon sind mir eine Hilfe und eine Freude geworden und das Fediverse ist eine Struktur, die genau das ermöglicht und fördert.
Unglaubliche Vorurteile
Eine Bestätigung für meinen Wechsel hatte ich auch durch die vielen Vorurteile, denen ich begegnet bin. Einige der Beispiele möchte ich hier nennen.
Ein dezentrales System ist kacke
Die Auswahl des richtigen Servers sei so schwierig und der Anmeldeprozess so kompliziert. Da sehe doch niemand durch. Tatsächlich ist es so, dass ein dezentrales System NATÜRLICH anders funktioniert, als das viele von den üblichen Plattformen gewohnt sind.
Durch die Dezentralisierung und der gleichzeitigen Fokussierung auf Themen der einzelnen Instanzen, hat man zwei Möglichkeiten:
- Registrierung auf einer beliebigen Instanz und eventueller späterer Umzug oder
- Beschäftigung mit dem System und den Instanzen im Vorfeld
Es bleibt einem nicht erspart, dass man sich mit der Thematik beschäftigt und sich darüber Gedanken macht, wie man Social Media leben möchte. Viele in der Social Media-Welt sind es offenbar gewohnt, Entscheidungen an Konzerne abzugeben. Das rächt sich dann natürlich, wenn man angehalten ist, sich selbst für einen Weg zu entscheiden.
Zugegeben, wenn man über Mastodon hinaus auf das gesamte Fediverse blickt, dann sieht man viele unterschiedliche Dienste, die zudem auf zahlreiche Instanzen vertreut sind. Das wirkt auf den ersten Blick sehr nerdig und ist es vielleicht auch. Schlussendlich entsteht dadurch aber eine Vielfalt, die es sonst nirgends gibt.
Das Fediverse wird zensiert – keine Meinungsfreiheit
Beiträge werden entfernt, Benutzer werden geblockt und ja, sogar ganze Instanzen werden aus dem Fediverse ausgeschlossen. Das ist doch bitte kein Free Speech! Das ist Zensur. So die Argumentation. Auf Mastodon sind Moderator:innen unterwegs, die auf die ausgeschriebenen Regeln der jeweiligen Instanz achten und diese auch durchsetzen. Wer sich diesen Hausregeln widersetzt, wird entsprechend sanktioniert. Hassrede, Antisemitismus und dergleichen wird unterbunden und das ist auch gut so, denn das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Wer anderen Gewalt androht, Hass verbreitet etc. fliegt raus. Es wird sorgsam, wenn nicht gar fürsorglich, zumindest aber respektvoll miteinander umgegangen. Wer das nicht auf die Reihe bekommt, wird ausgegrenzt. Zu recht.
Admins auf Mastodon können DMs lesen, auf Twitter nicht
Jeder der Zugriff auf die Datenbank hat, kann diese lesen. Mastodon weist im UI sogar extra darauf hin, dass Nachrichten nicht verschlüsselt werden und daher nicht für einen privaten Austausch von Informationen passend sind. Twitter weist darauf nicht hin. Im Grunde muss also jeder für sich selbst entscheiden, ob er lieber einem Unternehmen vertraut, dass mit den Daten und den darin enthaltenen Informationen Werbung platziert (und nur damit überleben kann) oder einem Admin, der mit eigenem Geld eine Mastodon-Instanz betreibt und nicht von den Daten als Einnahmequelle lebt.
Fazit
Mit dem Fediverse und hier exemplarisch mit Mastodon kehrt Ruhe ein. Alles wird entspannter und das Wichtigste: Man beschäftigt sich wieder mit dem Eigentlichen, dem Wesentlichen und nicht mit der Generierung von Aufmerksamkeit (oft um nichts). Die Argumentationen dagegen zeigen sehr erschütternd, wie sehr Menschen dahin getrimmt wurden, Verantwortung aus Bequemlichkeit abzugeben. Es wird Zeit, diese Verantwortung wieder wahrzunehmen. Ich bin auf jeden Fall ins Fediverse gekommen, um hier zu bleiben. Und hier findest du mich auf Mastodon: https://mastodon.social/@norberteder